Volksuni

Wolfgang Fritz Haug, 1. Volxuni des »social forum« Tübingen/Reutlingen«

Die Westberliner Volksuni1 ist 1979 gegründet worden und wurde 1980 zum ersten Mal und mit großem Erfolg durchgeführt. Ein schöner Bildband2 und eine Schallplatte vom Volksuni-Konzert Wolf Biermanns legen davon Zeugnis ab. Der Name war angeregt von der Stockholmer »Folkuniversitet«, die vom »Centrum för Marxistik Samhällestudier« (CMS), das der schwedischen Linkspartei nahe- steht, jährlich veranstaltet wurde. (1979 war ich zur 2. Stockholmer Volksuniversität als Referent eingeladen worden und brachte die Idee, etwas Ähnliches zu organisieren, nach Berlin mit.) Die Schwe- den hatten die Impulse aus London bezogen. Später entdeckte ich immer neue, immer weiter in die Vergangenheit der Arbeiterbewe- gung zurückführende Spuren des gleichnamigen Projekts – im Ita- lien Antonio Gramscis, im Peru José Carlos Mariáteguis, der als der erste autochthone Marxist Lateinamerikas bezeichnet worden ist. Immer handelte es sich darum, dem durch die herrschenden Ideolo- gien, durch den jeweiligen Staat, durch den Zugriff des Kapitals und die atomisierenden Effekte der Konkurrenz geprägten akademischen Betrieb eine autonome und solidarische Wissens- und Erfahrungs- vermittlung von unten entgegenzusetzen, sich eine soziale Univer- sität herauszunehmen.

Die Gründungskonstellation der Berliner Volksuni ist aufschluß- reich: Es war die Zeit, als Althusser die Krise des (westlichen) Mar- xismus ausgerufen hatte, als in Polen ein Staatsstreich – mit der Ausrufung der Diktatur über die Arbeiterklasse im Namen derselben – das Ende des Staatssozialismus ankündigte und als in der Bundes- republik die grüne Bewegung eine Partei hervorbrachte und damit den Sprung ins Parlament schaffte. Der Bedarf nach Umorientierung war groß, und die Gräben zwischen linken Fraktionen fingen an, albern zu wirken.

Die Gründung wurde möglich, weil eine Gruppe Westberliner Be- triebs- und Personalratsvorsitzender sie mittrug. Linke Intellektuelle gab es nicht wenige, denn ›intellektuell‹ und ›links‹ waren damals fast Synonyme. Aber erst eine Dosis Arbeiterbewegung gab die Chance, ein Projekt zu formen, das im Unterschied zum schwedi- schen Vorbild ohne tragende Institution, ohne Geld und ohne andere als auf Überzeugung gründende Macht halten können mußte.


  1. Volksuni ’80. Bilder und Texte, Berlin/W 1980. ↩︎

  2. Vgl. den gleichnamigen zweiten Teil von Pluraler Marxismus, Bd. 1, Berlin/W 1985. ↩︎